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Tantra meets Handicap
Ich möchte behinderte und nicht behinderte Menschen einladen, sich gegenseitig besser kennen, verstehen und lieben zu lernen.
Was passiert mit Nichtbehinderten, wenn sich die Wahrnehmung von dem Fokus auf die Einschränkung befreit und auf das Wunder richtet?
Was passiert, wenn behinderte Menschen verstehen, warum sich nicht behinderte Menschen manchmal so seltsam benehmen? Was passiert, wenn wir uns einfach in die Augen schauen, berühren und sinnlich-verspielt als Männer und Frauen begegnen?
Viele behinderte Menschen sind fantastische, interessante, feinfühlige, sinnlich-erotische und humorvolle Persönlichkeiten. Fast alle haben auf Grund von Kompensation ihrer Behinderung spannende Talente und Eigenschaften entwickelt, die erhellend und erheiternd sein können und die festgefahrene Sichtweisen und Überzeugungen lockern können.
Tantra und Behinderung – im Laufe der Jahre, in denen ich mich nun sowohl im tantrischen Bereich und in der Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung bewege, ist mir aufgefallen, dass die beiden Bereiche leider sehr selten zusammen kommen.
Das Teilnehmen an Tantra-Workshops und Seminaren ist für Menschen mit Rolli oder anderen Einschränkungen meist nicht möglich, da die Räumlichkeiten nicht zugänglich sind oder Menschen mit Einschränkungen in Bezug auf die Art der Übungen schlichtweg nicht bedacht werden.
Andererseits sehe ich gerade da eine regelrechte Notwendigkeit und auch ein großes Potential, sich dem Thema im Tantra zu stellen und sich dadurch mit Sexualität auf einem achtsamen Niveau zu befassen und einzulassen. Es ist erweiternde Fantasie gefragt, die Bereitschaft, Übungen flexibel zu gestalten und behinderte Menschen mit ihren eigenen persönlichen Erfahrungen mitgestalten zu lassen.
In den meisten angebotenen erotischen Seminaren zum Thema bleiben behinderte Menschen auch unter sich oder können ihre Erfahrungen bestenfalls mit speziell geschulten SexualbegleiterInnen machen. Aber die Idee bleibt einseitig und nimmt für mich auch den nichtbehinderten Menschen die Chance, mal ganz andersartige Erfahrungen zu machen und die sinnliche Welt einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Bei fast allen Menschen mit Behinderung ist Thema Sinnlichkeit und Sexualität ein verletzliches Thema. Sie sind als Sex- oder Beziehungspartner nicht gerade die erste Wahl, sie fallen aus dem allgemein üblichen Beuteschema heraus.
Das ist natürlich nicht gerade förderlich für die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins als Mann oder als Frau. Das macht es nicht gerade einfach, jemanden anzusprechen, zu flirten und Kontakte zu knüpfen usw. Selbst die ansonsten recht selbstbewussten, interessanten und in Selbstbestimmtheit lebenden Menschen mit Behinderung werden beim Thema Sexualität, Männlichkeit und Weiblichkeit sehr unsicher.
Im Gegensatz dazu haben nichtbehinderte Männer und Frauen viele Berührungsängste. Wie geht man mit seinem Gegenüber um, der zum Beispiel völlig unbeweglich ist? Wie berührt man, wenn der Mensch gegenüber die Hand nicht bewegen kann? Wie spricht man, wenn die Sprache undeutlich ist? Hilft man oder hilft man nicht? Redet man über die Behinderung?
Wie will ein behinderter Mensch eigentlich wirklich behandelt werden usw…? Wie funktioniert Beziehung und/oder Sex, mit Behinderung? Geht das überhaupt? Kann man einfach darüber sprechen?
Das erzeugt Unsicherheit. Und wer zeigt sich in unserer perfektionierten Welt schon gerne unsicher und unwissend.
Oft liegt der Fokus nichtbehinderter Menschen sehr stark auf der sichtbaren Einschränkung. Der oder die Behinderte tut uns leid oder wir sehen uns in unserer Fantasie selbst in der Lage mit Behinderung und können den eigentlichen behinderten Menschen und seine Persönlichkeit gar nicht mehr wahrnehmen. Wir gehen in eine Projektion, vielleicht sogar in einer Bewunderung, wie derjenige sein Schicksal meistert. Aber auch das schafft wiederum nicht unbedingt einen ganz normalen Kontakt auf Augenhöhe. Denn die Behinderung ist nur EINE Eigenschaft von vielen, sie ist nicht die Persönlichkeit an sich…
(Behinderte Menschen wollen nicht bewundert werden, sie wollen als normal wahrgenommen werden und ganz selbstverständlich teilhaben an der Gesellschaft. Sie wollen Kontakte, Freunde, Spaß, Liebes- und Lebenspartner haben, und natürlich auch Berührungen und Sexualität erleben.)
Inklusion und Sexualität mit Behinderung ist noch lange noch nicht zum Alltag geworden und wenn nicht unter Verwandtschaft, Freundschaft und Arbeitsbereich zufällig ein behinderter Mensch ist, fehlen einfach die persönliche Erfahrungen und damit ein ganz natürliche Zugang.
So bleiben behinderte Menschen dann doch leider oft unter sich…
Wir möchten die Ebenen zusammen führen, einladen, neugierig machen, einander vertraut machen, verbinden, experimentieren, berühren, spielen, genießen, entdecken, staunen, Lebensgeschichten teilen, gemeinsam lachen oder weinen…
In diesem Seminar „Tantra meets Handicap“ haben behinderte und nichtbehinderte Menschen die Möglichkeit, sich näher zu kommen, zu berühren, sich berühren zu lassen… körperlich, geistig, sinnlich und seelisch…
Einfache, klare tantrische Übungen, verschiedenste Formen der Berührung, Begegnung, Wahrnehmungs-Intensivierung, sinnliche Spielereien, Seil- und Verbindungsspiele, Rituale usw. geben viel Raum zum Erforschen und Begegnen.
Es werden Möglichkeiten zur (Körper)-Erfahrung angeboten, es geht um Aufarbeitung unterdrückter und verletzter Anteile, es geht darum, ein Gefühl für sich als Mann oder Frau zu finden, sich selbst auf liebevolle Art und Weise zu er-spüren, erforschen und genießen.
Aufmerksam begleitet werdet ihr auf dieser Reise durch ein Team tantrisch und therapeutisch geschulter Menschen mit und ohne Behinderung.
Außer mir Thomas Affner, Pia Hoffman